Montag, 30. September 2013

Unterstellungen gegen MEMORIAL-Verband in Petersburg

Im Frühjahr wurden alle drei Petersburger MEMORIAL-Verbände überprüft. Anders als das Antidiskriminierungszentrum erhielten die beiden anderen Verbände – das wissenschaftliche Informationszentrum (NITs) und die Sozialstation – zwar Bescheide, die zur Beseitigung bestimmter Mängel oder formaler Fehler aufforderten, die jedoch nichts mit einem angeblichen Status als „ausländische Agenten“ zu tun hatten. Die Sozialstation erhielt diesen Bescheid am 9. Juli.

Ohne dass zuvor von Seiten der Staatsanwaltschaft davon die Rede gewesen wäre, hat Generalstaatsanwalt Tschajka in seinem Rechenschaftsbericht vor dem Föderationsrat am 10. Juli gravierende Vorwürfe gegen die Sozialstation erhoben. Fördergelder, die für die Altenhilfe bestimmt waren, seien größtenteils nicht diesem Zweck zugeführt, sondern für Mietzahlungen und Gehälter verwendet worden.

Nachdem MEMORIAL Petersburg gegen diese Unterstellungen entschieden protestiert und eine Richtigstellung gefordert hatte, zog am 22. Juli der Stellvertretende Petersburger Staatsanwalt Resonov nach und bekräftigte die Vorwürfe. Er bezog sich erstmals ausdrücklich auf die finanzielle Unterstützung durch MEMORIAL Deutschland und unterstellt damit, dass die von uns stammenden Mittel und gesammelten Spenden zumindest teilweise veruntreut worden seien.

In einem Schreiben an Galina Schkolnik, die Leiterin der Petersburger Sozialstation, hat der Vorstand von MEMORIAL Deutschland den Verband seiner Unterstützung versichert:

"Seit vielen Jahren unterstützen wir unsere Partner in St. Petersburg, indem wir z. B. gemeinsam Benefizkonzerte russischer Künstler in Deutschland organisieren und Seniorenpatenschaften vermitteln und auf diese Weise Spendengelder einwerben, die in St. Petersburg für die Sozialarbeit verwendet werden.

Auf der Website unserer Organisation berichten wir über die Arbeit unserer Petersburger Partner, wir leben und erleben einen regen Austausch mit den Petersburger Kollegen und berichten hier in Deutschland über die wertvolle Arbeit, die mit viel Engagement in Petersburg geleistet wird.

In Zusammenhang mit einem vom 1. Mai 2011 bis zum 30. April 2014 laufenden Kooperationsvertrag mit der Bundesstiftung 'Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)' war es durch den Eigenanteil von MEMORIAL Deutschland möglich, neben der Sozial- und Altenarbeit auch Mietkosten und Gehälter abzudecken.

MEMORIAL Deutschland erhielt und erhält aus St. Petersburg regelmäßig Abrechnungen über die Verwendung der überwiesenen Spendengelder."

Donnerstag, 26. September 2013

Antidiskriminierungszentrum MEMORIAL Petersburg unter verschärftem Druck

Ein Gerichtstermin fand am 23.9. statt, die Fortsetzung folgt im Oktober


Die Staatsanwaltschaft hat zwei Verfahren gegen das ADZ eingeleitet, beide im Zusammenhang damit, dass es sich nicht als „ausländischer Agent“ registrieren lässt, da es ausländische Fördergelder erhält und nach Auffassung der Behörden politisch tätig ist.

Beleg für die politische Tätigkeit ist ein Bericht an den UNO-Ausschuss für Folter, der u. a. Polizeiwillkür gegen gefährdete Gruppen (Titel des Berichts: "Roma, Migranten, Aktivisten - Opfer polizeilicher Willkür" - mit "Aktivisten" sind Teilnehmer an politischen Protestkundgebungen gemeint) beschreibt. Dieser Bericht, wohlgemerkt vor Inkrafttreten des Agentengesetzes verfasst, ist wesentlicher Gegenstand der Klage. Die darin geäußerte Kritik am Verhalten russischer Sicherheitsorgane und die entsprechenden Reformvorschläge und Empfehlungen werden nicht nur als Indiz für politische Tätigkeit gewertet, sondern als beleidigend für die Mitarbeiter der Sicherheitsorgane und zudem als unbegründet dargestellt – sie basierten allein auf den Aussagen der zitierten Minderheiten (Roma).

Im ersten Verfahren geht es um den (angeblichen) administrativen Rechtsverstoß der unterlassenen Registrierung als „ausländischer Agent“. Hier war die Staatsanwaltschaft bisher in mehreren Instanzen gescheitert - wegen gravierender Verfahrensfehler und Mängeln hatten die Gerichte die Klage gar nicht zur Verhandlung zugelassen. Das zweite Verfahren ist eine Zivilklage der Staatsanwaltschaft: Sie agiert hier „zum Schutz“ eines unbestimmten Personenkreises, in dessen Interesse die Registrierung von MEMORIAL als "ausländischer Agent" liegen soll. In der Klage selbst wird dabei explizit betont, dass sich nicht ermitteln lässt, wessen Rechte hier verletzt werden und um welchen Personenkreis es sich handelt.

Dieses zweite Verfahren ist präzedenzlos und bedrohlicher – hier besteht die reale Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft die Eintragung der Organisation als ausländischer Agent erzwingen könnte.
Am 23. September fand eine erste Verhandlung statt. Als "dritte Partei", de facto auf Seiten der Anklage, fungierte eine Vertreterin des Justizministeriums in Petersburg. Anträge des ADZ, das Justizministerium als Teilnehmer zum Verfahren nicht zuzulassen, wurden abgelehnt, wie auch alle weiteren Anträge des ADZ (das ADZ hatte u. a. Stellungnahmen der UNO vorgelegt, deren eine ausdrücklich auf die Arbeit des ADZ eingeht, sowie ein Statement des Kommissars für Menschenrechte im Europarat).


Die nächsten Gerichtstermine wurden auf den 7. Oktober (Administrativverfahren) und 14. Oktober ("Zivilklage") angesetzt.


26.9.2013

Montag, 23. September 2013

"Es gilt nicht, das Gesetz zu verbessern – wir müssen seine Aufhebung erreichen"

Die Teilnehmer einer Konferenz der Moskauer Helsinki-Gruppe – Vertreter wichtiger NGOs in Russland - diskutierten verschiedene Änderungsvorschläge des berüchtigten „Agentengesetzes“, die das Komitee für gesellschaftliche Initiativen (KGI) von Alexej Kudrin und der Menschenrechtsrat vorgebracht hatten.

Die Vorschläge betrafen die Definition „politischer Tätigkeit“ und des „ausländischen Agenten“. (politisch tätige NGOs, die ausländische Fördergelder erhalten, gelten dem Gesetz zufolge als „ausländische Agenten“). Das KGI will „politische Tätigkeit“ als „Kampf um die politische Macht“ definieren. Als „ausländische Agenten“ dürften allenfalls Organisationen gelten, die vertraglich festgelegte Aufträge ausländischer Geldgeber ausführen.
Auch in den Augen der KGI wäre es besser, den Terminus des ausländischen Agenten fallen zu lassen, das scheint ihr aber im Augenblick unrealistisch, daher gehe es darum, den „Schaden zu minimieren“ (so Andrej Maximov im „Kommersant“).

Die Position des Menschenrechtsrats ist ähnlich. Als Kompromiss wird vorgeschlagen, NGOs, die erhebliche Fördergelder aus dem Ausland erhalten, einer strengeren Rechenschaftspflicht zu unterziehen.

Ungeachtet dieser Diskussionen sind sich die NGO-Vertreter in ihrer grundlegenden Ablehnung des NGO-Agentengesetzes einig. Ihnen geht es nicht um einzelne Korrekturen – Ziel ist die Aufhebung des diskriminierenden Gesetzes.

Quellen:

Schalamow-Ausstellung im Literaturhaus Berlin

Vom 27.9. bis 8.12.2013 wird im Literaturhaus Berlin die Ausstellung „Leben oder Schreiben. Der Erzähler Warlam Schalamow“ gezeigt.

Am 26.9. um 18 Uhr findet die offizielle Eröffnung statt mit Ernest Wichner vom Literaturhaus Berlin, Irina Ostrowskaja (Memorial Moskau), Valeri Jessipow (Schalamow-Biograph) und Wilfried F. Schoeller (Kurator).

Weitere Informationen finden Sie hier:

Sonntag, 22. September 2013

Gesetz soll Voraussetzungen für außerplanmäßige NGO-Kontrollen erweitern

Der Ausschuss für gesellschaftliche Vereinigungen und Organisationen in der russischen Staatsduma hat empfohlen, in erster Lesung einen Gesetzentwurf anzunehmen, der die Voraussetzungen für außerplanmäßige Überprüfungen von NGOs noch erweitert. Dieser Entwurf des Justizministeriums, von der zuständigen Regierungskommission Anfang Juni gebilligt, war Ende Juni in der DUMA eingebracht worden (vgl. unsere Meldung vom 5. Juni).

Außerplanmäßige Überprüfungen können auf Anweisung des Staatsanwalts, der Regierung und des Präsidenten ebenso wie auf Grund von Anzeigen vorgenommen werden.

Eine Vertreterin des Justizministeriums rechtfertigte den Gesetzentwurf mit dem Argument, ihre Behörde habe „die Kontrolle über einige Organisationen“ verloren. Die Gesellschaftskammer der Russischen Föderation lehnt den Entwurf dagegen ab. Das Gesetz könne die „Arbeit der NGOs erschweren, sich nachteilig auf ihren Ruf und auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Russland insgesamt auswirken“, heißt es in ihrer Erklärung.


Dienstag, 17. September 2013

Russisches Justizministerium: MEMORIAL Komi ist kein "ausländischer Agent"



Das russische Justizministerium hat die Überprüfung des Memorial-Verbandes in Komi beendet. Es ist zum Ergebnis gekommen, dass MEMORIAL Komi keiner politischen Tätigkeit nachgeht und sich daher nicht als „ausländischer Agent“ registrieren muss.

Damit widerspricht das Justizministerium der Sicht des regionalen Staatsanwalts. MEMORIAL Komi hatte im April eine Verwarnung bekommen. In seiner Sicht muss sich der Verband als Organisation, die sich mit Politik befasst (schon deshalb, weil sie Kontakte zu staatlichen Behörden unterhält) und ausländische Fördergelder erhalte, als „ausländischer Agent“ registrieren lassen.

Igor Sazhin, der Leiter dieses Verbands, sagte, dass die Mitglieder sich in dieser rechtlichen Hinsicht jetzt sicherer fühlten. Allerdings geht er davon aus, dass es dennoch zu weiteren Provokationen gegen MEMORIAL kommen könnte (im Frühsommer war die Mitgliederversammlung von nationalistischen Gruppen attackiert, die Wohnungen einzelner Mitglieder waren mit Aufklebern versehen worden und anderes mehr).

Das für den 13. September angesetzte Gerichtsverfahren gegen das Menschenrechtszentrum MEMORIAL in Moskau ist inzwischen erneut, und zwar auf den 18. November, vertagt worden.

Quellen: http://7x7-journal.ru/post/27665?r=komi (Verwarnung);
http://hro.org/node/17458 (Entscheidung des Justizministeriums)

Chodorkovskij an die Angeklagten im Bolotnaja-Prozess

In einem offenen Brief vom 11.09.2013 unterstützt Chodorkovskij die Angeklagten im so genannten Bolotnaja-Prozess:

Liebe Freunde,

ich denke, dass ich besser als viele andere verstehe, was ihr gerade empfindet, nachdem ich unserem skrupellosen und unbarmherzigen „Rechts- und Vollzugssystem“ gegenüberstand.

Jeder von uns hat Detektivgeschichten gelesen und hat Fernsehserien angeschaut, in denen sich das Recht sogar gegen die größten Gesetzesbrecher durchsetzt.

Ich erinnere mich an das, was mich am meisten entsetzte: dass von Anfang an die Person, die vorgab ein Richter zu sein, mich als eine niedrigere Lebensform erachtete, etwa wie ein Leibeigener oder römischer Sklave, wobei der „Herr“ in Uniform überhaupt nichts beweisen musste: seine Worte wurden für bare Münze genommen, während meinen nur mit Verachtung zugehört wurde und ohne jede Absicht, sie zu berücksichtigen.

Ich rede noch nicht einmal über solche komplexe Grundsätze wie die Unschuldsvermutung oder Sachen im Zweifel für den Angeklagten auszulegen usw. „Sie“ könnten sich kaum weniger um das Recht scheren.

Jedoch ist man am Anfang verletzt über die Weigerung, dich als menschliches Wesen anzusehen, als einen Gleichen, der die Wahrheit erzählt, einfach weil es das Richtige ist.

Donnerstag, 5. September 2013

To Russia with Love ....

  Konzert und Forum für Menschenrechte in Russland

§  Am 7. Oktober 2013 im Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin
§  Ab 18 Uhr: freier Eintritt zum NGO-Informationsforum
§  18.30 Uhr: Diskussionsrunde zum Thema „Wir lassen uns nicht einschüchtern – die russische Zivilgesellschaft unter Druck“
§  20 Uhr: Konzert
Mit GIDON KREMER und der KREMERATA BALTICA, MARTHA ARGERICH, NICOLAS ALTSTAEDT, DANIEL BARENBOIM, KHATIA BuniatishVili, ROMAN KOFMAN, GiYa Kancheli, ELSBETH MOSER, Sergei Nakariakov, EMMANUEL PAHUD und dem SHCHEDRYK-KINDERCHOR
Herausragende Musiker wie Leonard Bernstein, Mstislaw Rostropowitsch oder Yehudi Menuhin haben zusammen mit vielen anderen den Kampf für die Freiheit unterstützt. Diese Tradition fortsetzend wollen die Kremerata Baltica und Gidon Kremer gemeinsam mit anderen weltberühmten Künstlern auf die sich verschlechternde Menschenrechtslage in Russland mit der Sonderveranstaltung „To Russia with Love“ aufmerksam machen. Das musikalische Programm umfasst Werke russischer Komponisten wie Schostakowitsch, Tschaikowsky und Rachmaninow sowie die Premiere von Giya Kanchelis „Angels of Sorrow“, das den unschuldigen Opfern unserer Zeit gewidmet ist.
Gidon Kremer erklärt sein Engagement für diesen besonderen Abend so: „Ich bin kein Politiker, doch ich halte es mit Alexander Puschkin, der sagte, sein Platz sei auf der Bühne und man müsse all den ‚guten Willen‘ einsetzen, den man als Künstler zur Verfügung habe.“ Kremer fügt hinzu: „Ich habe das Glück, dass ich mit meiner Meinung nicht allein bin und dass so viele tolle Freunde aus der Welt der Musik diese Konzertveranstaltung unterstützen, um sich mit dem russischen Volk in seinem Kampf für Menschenrechte zu solidarisieren.“
Von den friedlichen Demonstranten des Bolotnaja-Platzes, auf die nun ein politischer Prozess wartet, über die Verfolgung von Nichtregierungsorganisationen als „ausländische Agenten“, die Drangsalierung von homosexuellen Menschen und LGBT-Aktivisten, die Schikanierung von Menschenrechtsverteidigern und Umweltaktivisten, den im Gefängnis verstorbenen Sergei Magnitsky bis hin zu den am längsten inhaftierten politischen Gefangenen der neueren russischen Geschichte, Michail Chodorkowski und Platon Lebedew: die Menschenrechte sind in Russland zunehmend in Gefahr. Die heutigen Machthaber dulden keinerlei politische Kritik, auch nicht als Zeichen einer gesunden Demokratie. Stattdessen werden Kritiker im heutigen Russland verfolgt und für ihre Überzeugungen eingesperrt. In russischen Haftanstalten und auf Polizeistationen gibt es nur unzureichenden Schutz vor Folter und Misshandlungen. Politische Morde werden nicht hinreichend untersucht und vielfach nie aufgeklärt. Die Gerichte sind nicht unabhängig und werden als Mittel zur Unterdrückung eingesetzt. Der Kreml verfügt über ein Informationsmonopol durch die staatlichen TV-Sender und unterdrückt unabhängige Medien, um jegliche kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen.
„To Russia with Love“ findet am 7. Oktober 2013 statt, dem siebten Jahrestag der Ermordung der Journalistin und Regierungskritikerin Anna Politkowskaja. Die Veranstaltung ist ihr gewidmet wie auch all den anderen mutigen Menschen in Russland, die trotz aller Bedrohungen ihren Einsatz für die Menschenrechte fortsetzen.


Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International Deutschland, die Stiftung Menschenrechte, Memorial Deutschland, der Verein Deutsch-Russischer Austausch, Reporter ohne Grenzen Deutschland, das Lew Kopelew Forum und die Zeitschrift Osteuropa unterstützen die Veranstaltung.
Peter Franck, Russlandexperte von Amnesty International Deutschland, dazu: „Die Lage der russischen NGOs, mit denen wir seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten, hat sich in den letzten Monaten dramatisch zugespitzt. Wir sind alle Teil derselben internationalen Zivilgesellschaft und unterstützen gerne die Initiative der Kremerata Baltica und Gidon Kremers sowie der übrigen Musiker, mit dem Konzert ein Zeichen der Solidarität zu senden.“
Vor dem Konzert findet im Foyer eine Diskussionsrunde zur Menschenrechtslage in Russland statt. Dabei wird es Gelegenheit zum Gespräch mit NGO-Vertretern geben, die Einblicke in ihre Arbeit bieten. Darüber hinaus können die Gäste an Aktionen zugunsten politischer Häftlinge teilnehmen und einen Beitrag zur Unterstützung von NGOs leisten, die in Russland starkem Druck ausgesetzt sind.
Die Teilnahme an der Diskussionsrunde und am NGO-Informationsforum ist kostenlos. Alle Künstler treten ohne Gage auf.
Eintrittskarten für das Konzert
Montag, 7. Oktober 2013, 20.00 Uhr
Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin
Preise: 67,30 € | 56,30 € | 45,30 € | 34,30 € – inkl. Buchungsgebühren
Hotline: 030 – 47 99 74 66 | Online: www.eventim.de