Donnerstag, 26. Dezember 2013

MEMORIAL Rjasan gewinnt nach monatelangem Rechtsstreit




Gericht erklärt Verwarnung für ungesetzlich


Das Gebietsgericht in Rjasan hat am 25. Dezember der Klage von MEMORIAL Rjasan gegen seine Verwarnung vom 24. April stattgegeben.


Bei der staatsanwaltlichen Überprüfung von MEMORIAL Rjasan im April 2013 waren zwar keinerlei Rechtsverstöße festgestellt worden, der Verband war jedoch dennoch verwarnt und darauf hingewiesen worden, dass er vor einer Eintragung ins Register „ausländischer Agenten“ keine politische Tätigkeit betreiben dürfe.

Dagegen hatte MEMORIAL Rjasan geklagt. Das zuständige Rjasaner Bezirksgericht hatte die Klage mit dem Argument zurückgewiesen, die Verwarnung verletzte nicht die Rechte und Freiheiten der Organisation und trage nur empfehlendenCharakter. In der Urteilsbegründung war indes eindeutig festgestellt worden, dass MEMORIAL nicht politisch tätig sei und es für die Verwarnung keinerleirechtliche Grundlage gegeben habe.

Gegen diese Gerichtsentscheidung waren sowohl die Staatsanwaltschaft als auch MEMORIAL Rjasan in Revision gegangen. Das Gebietsgericht erklärte die gegen den Verband ausgesprochene Verwarnung für ungesetzlich. Sie sei ein „unzulässiger Verstoß gegen die Gesetzgebung über gesellschaftliche Vereinigungen“.

„Natürlich freuen wir uns über die heutige Gerichtsentscheidung“, erklärte der Leiter der Organisation, Andrej Blinuschov. „Wir sind der Auffassung, dass dieses Gerichtsurteil rechtmäßig ist. Die Formulierungen des NGO-Gesetzes über „ausländische Agenten“, auf das sich die Staatsanwaltschaft stützte, sind zu schwammig, und seine Anwendung bringt viele NGOs in Gefahr, die nie politisch tätig waren.“



Freitag, 20. Dezember 2013

Amnestie aus Anlass des 20. Jahrestages der Verfassung

Am 19. Dezember wurde die erwartete und breit diskutierte Amnestie aus Anlass des 20. Jahrestages der russischen Verfassung (am 12. Dezember 2013) offiziell bekanntgegeben.

Die Amnestie betrifft soll über 25.000 Personen zugute kommen, insbesondere jugendlichen Straftätern (Personen, die zur Zeit ihrer Straftat unter 18 Jahre alt waren), Invaliden, Müttern mit minderjährigen Kindern und Personen, die sich um das Vaterland verdient gemacht haben.

Da der Straftatbestand „Rowdytum“ in die Bestimmungen einbezogen ist, fallen auch die beiden Mitglieder der Punkband Pussy Riot, Nadezhda Tolokonnikova und Maria Aljochina, unter den Erlass, ebenso Personen, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Das gilt für die inzwischen gegen Kaution freigelassenen Besatzungsmitglieder des Greenpeace-Schiffs "Arctic Sunrise". Wie es heißt, könnte auch der ehemalige Verteidigungsminister Anatolij Serdjukov einem Strafverfahren entgehen.

Von den Personen, gegen die im Zusammenhang mit der Kundgebung auf dem Bolotnaja-Platz am 6. Mai 2012 ermittelt wird, profitieren offenbar nur vier von der Amnestie (von denen zwei in Untersuchungshaft einsaßen und bereits entlassen wurden).

Nicht von der Amnestie betroffen sind der inzwischen freigekommene Michail Chodorkovskij und Platon Lebedev, weil sie mehrfach verurteilt wurden.

Die vorgeschriebenen bürokratischen Prozeduren können die Verfahren durchaus noch in die Länge ziehen, bis zu sechs Monaten. Die Hoffnung auf eine Freilassung etwa von Nadezhda Tolokonnikova oder Maria Aljochina schon in den nächsten Tagen erwies sich möglicherweise als verfrüht.

Arsenij Roginskij, Vorsitzender von MEMORIAL International, ist enttäuscht vom Umfang der Amnestie: „Wir hatten auf eine viel umfassendere Amnestie gehofft….“. Außerdem bestehe die Gefahr, dass nicht einmal alle Personen, die für die Amnestie vorgesehen seien, wirklich in ihren Genuss kämen. MEMORIAL International hatte in einer eigenen Erklärung zu diesem Anlass für eine möglichst umfassende Amnestie plädiert.

20.12.2013

Sonntag, 15. Dezember 2013

"Das ist kein Zufall, sondern unmittelbare Folge des 'Agentengesetzes'"

Erklärung von MEMORIAL International zum Urteil gegen das ADZ


Am 12. Dezember hat das Lenin-Bezirksgericht in Sankt Petersburg das Antidiskriminierungszentrum (ADZ) MEMORIAL Petersburg zum ausländischen Agenten erklärt und dazu verpflichtet, sich in das entsprechende Register einzutragen. Das ADZ MEMORIAL ist eine Petersburger NGO, die sich der Unterstützung von Vertretern ethnischer Gruppen widmet, die traditionell Diskriminierungen ausgesetzt sind (vor allem Roma).

Am 10. Dezember hatte der russische Präsident auf einem Treffen mit Menschenrechtlern wörtlich gesagt: „Die Regierung und die Menschenrechtsbewegung haben vollkommen identische Aufgaben“. Zwei Tage danach, am Tag der russischen Verfassung, erklärte er in seiner jährlichen Botschaft an die Bundesversammlung ausdrücklich, „die Unterstützung der Menschenrechtsbewegung“ müsse „eine vorrangige Aufgabe in der gemeinsamen Arbeit von Staat und Gesellschaft werden“.

Praktisch im selben Augenblick, in dem Putin diese Rede vor dem Parlament vortrug, beschloss ein Gericht in Petersburg, eine der effizientesten Menschenrechtsorganisationen in Russland de facto zu zerstören. Es handelt sich tatsächlich darum, dass diese Organisation vernichtet wird, denn nicht eine einzige unabhängige NGO wird bereit sein, sich das beleidigende und verlogene Etikett eines „ausländischen Agenten“ anzuheften.

Deutlicher hätte man die Diskrepanz zwischen Worten und Taten der russischen Regierung nicht demonstrieren können.

Was in Petersburg geschehen ist, ist kein Zufall, sondern die unmittelbare Folge des „Agentengesetzes“. Dieses Gesetz wurde auf Initiative der russischen Führung konzipiert und im Eilverfahren verabschiedet, und zwar ausschließlich für den Kampf gegen unabhängige NGOs, die auf allen Ebenen Willkür bekämpfen.

Solange dieses Gesetz nicht annulliert wird, gibt es keinen Grund, sich auf beruhigende Reden zu verlassen, unabhängig von der Position der Person, die sie äußert.

Wir erklären uns solidarisch mit unseren Kollegen un Antidiskriminierungszentrum MEMORIAL und sind bereit, mit ihnen gemeinsam gegen das verfassungswidrige Gesetz zu kämpfen und für eine Revision der Gerichtsentscheidung einzusetzen.

13.12.2013
Der Vorstand der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL
MEMORIAL Sankt Petersburg

Quelle: http://www.memo.ru/d/180562.html
Stellungnahmen anderer Organisationen:
http://www.iphronline.org/russia-adc-memorial-decision-20131212.html
http://www.fidh.org/en/eastern-europe-central-asia/russia/14381-russian-federation-adc-memorial-officially-declared-a-foreign-agent-by-the
http://www.hrw.org/news/2013/12/13/russia-new-foreign-agents-law-ruling

15.12.2013

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Gerichtsentscheidung in Petersburg gegen MEMORIAL

Am 12. Dezember hat das Petersburger Gericht sein Urteil gegen das Antidiskriminierungszentrum (ADZ) MEMORIAL Petersburg gefällt: Die Organisation wurde verpflichtet, sich als „Nichtregierungsorganisation, die die Funktion eines ausländischen Agenten ausübt“, in das dafür vorgesehene Register eintragen zu lassen.

Seit August haben hierzu insgesamt sechs Gerichtstermine stattgefunden. Bei der letzten Verhandlung am 25. November hatte die Staatsanwaltschaft die Klage noch in dem Sinne verschärft, dass das Gericht das ADZ ausdrücklich zum „ausländischen Agenten“ erklären und zur Registrierung verpflichten sollte.

Das Gericht hat der von der Staatsanwaltschaft initiierten Zivilklage in vollem Umfang stattgegeben. Die Staatsanwaltschaft hatte dem ADZ bisher seinen Bericht an die UNO über polizeiliche Willkür gegen „Roma, Migranten und Aktivisten“ als „politische Tätigkeit“, die vom Ausland finanziert wurde, zur Last gelegt – ungeachtet der Tatsache, dass der Bericht deutlich vor dem 21. November 2012 – dem Inkrafttreten des „Agentengesetzes“ - erstellt worden war. Heute ging die Staatsanwalt noch einen Schritt weiter und erklärte, die „gesamte Tätigkeit“ des ADZ erfülle die Kriterien für einen „ausländischen Agenten“, ohne dass diese Tätigkeit näher beschrieben worden wäre.

Die Vertreter des ADZ stellten zahlreiche Anträge, die allesamt abgewiesen wurden. So beantragten sie, das Verfahren zu vertagen, bis das Verfassungsgericht und das Europäische Gericht für Menschenrechte über die Rechtmäßigkeit des „Agentengesetz“ entschieden haben.

Stefania Kulaeva, die Leiterin des ADZ, bekannte sich dazu, von ausländischen Stiftungen Unterstützung für ihre Arbeit bekommen zu haben. Die Organisation sei jedoch in ihrer inhaltlichen Arbeit vollkommen unabhängig: „Wir entscheiden immer selbst, was wir tun müssen, und die Stiftungen nehmen unsere Vorschläge an oder eben nicht.“

Zu erklären, dass Menschenrechtsarbeit bei uns nur Ausländern zugutekäme, wäre „eine Schande für unser Land", so Kulaeva. „Deshalb appellieren wir an das Gericht, die Tätigkeit von Menschenrechtlern nicht zur „Tätigkeit eines ausländischen Agenten“ zu erklären.“ Ihre Worte fanden indes kein Gehör.


Unsere Berichte dazu auf einen Blick:
http://memorial-de.blogspot.ru/search/label/ADZ

Dienstag, 10. Dezember 2013

Putin empfängt Vertreter von NGOs

Am 10. Dezember, zum Tag der Menschenrechte, hat Präsident Putin etliche Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und Menschenrechtsbeauftragte  zu einem Treffen in Novo-Ogarevo empfangen, darunter Svetlana Gannuschkina, Valentin Gefter und Sergej Krivenko (Internationale Gesellschaft MEMORIAL), Ljudmila Alexejeva (Moskauer Helskinki-Gruppe) sowie Igor Kaljapin (Komitee gegen Folter).

Wie nicht anders zu erwarten, nutzten NGO-Vertreter die Gelegenheit, Putin auf das berüchtigte „Agentengesetz“ anzusprechen. Jelena Topoleva, Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten, forderte Putin ausdrücklich auf, aus Anlass des Tages der Menschenrechte dieses Gesetz zu annullieren.

Putin betonte dagegen, das Gesetz sei unabdingbar – es könne nicht angehen, dass politische Tätigkeit für Gelder aus dem Ausland ausgeübt werde. – Auf die Frage, was er unter „politischer Tätigkeit“ verstehe, betonte Putin eindeutig, Menschenrechtsarbeit gehöre nicht dazu. Um die Probleme im Zusammenhang mit dieser Formulierung zu lösen, solle eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Mitgliedern des Menschenrechtsrats und der Präsidialverwaltung eingerichtet werden.

Jelena Topoleva hob hervor, dass die Staatsanwaltschaft den Begriff der "politischen Tätigkeit" erheblich weiter auslege als der Präsident.


Quellen: asi.org
http://kremlin.ru/news/19819



Freitag, 6. Dezember 2013

Golos-Verband unterliegt vor Gericht

Das Moskauer Stadtgericht hat am heutigen 6. Dezember die Klage der regionalen gesellschaftlichen Organisation Golos gegen die vorangegangene Gerichtsentscheidung eines Bezirksgerichts abgewiesen.

Wie etliche andere NGOs hatte auch Golos gegen die Aufforderung geklagt, sich als „ausländischer Agent“ registrieren zu lassen. Das Bezirksgericht hatte diese Aufforderung am 9. Juli für rechtmäßig erklärt. Dieser Entscheidung ist das Stadtgericht gefolgt.

Die Einwände der beiden Anwälte von Golos fanden kein Gehör, sie wurden darüber hinaus ständig unterbrochen. Beide beriefen sich nicht zuletzt auf Bestimmungen der Europäischen Menschenrechts-Konvention über die Vereinigungsfreiheit.

Das Gericht lehnte es ab, die Stellungnahme des EU-Menschenrechtskommissars zu dem „Agentengesetz“ zu den Akten zu nehmen. Dieses Gutachten stammt vom 15. Juli 2013. Das Gericht wandte jedoch ein, die Anwälte hätten es bereits dem Bezirksgericht bei der Verhandlung vom 10. Juli vorlegen müssen.

Das Justizministerium hatte die Tätigkeit dieses Golos-Verbandes bereits am 30. September für drei Monate ausgesetzt, weil er sich nicht in das Verzeichnis "ausländischer Agenten" hatte eintragen lassen.

Montag, 2. Dezember 2013

Natalja Gorbanevskaja gestorben



Am 29. November verstarb in Paris die Dichterin und Übersetzerin Natalja Gorbanevskaja. Sie gehörte zu den bedeutendsten Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung in der Sowjetunion. Ihre Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt, darunter auch ins Deutsche.

Sie war von Anfang an maßgeblich an der Herausgabe der „Chronik der laufenden Ereignisse“ beteiligt, eines Nachrichten-Bulletins der Bürgerrechtsbewegung, das über Ereignisse berichtete, die offiziell nicht gemeldet wurden, insbesondere über Menschenrechtsverletzungen, Zustände in Gefängnissen und Lagern sowie psychiatrischen Sonderkliniken und nicht zuletzt über Solidaritätsaktionen und Petitionen zugunsten von Personen, die politisch unter Druck gesetzt wurden oder in Haft saßen.

Natalja Gorbanevskaja war Teilnehmerin an der Demonstration auf dem Roten Platz am 25. August 1968 gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in die ČSSR. Sie wurde nicht gleich verhaftet, offenbar weil sie ihr dreimonatiges Kind dabei hatte. Über den Prozess gegen die meisten anderen Teilnehmer verfasste sie ein Weißbuch, das die Demonstration selbst sowie diesen Prozess in allen Einzelheiten dokumentiert.

Sie selbst wurde am 24. Dezember 1969 verhaftet. Im Serbskij-Institut „diagnostizierte“ man „schleichende Schizophrenie“ – die damals übliche "Diagnose" für politische Gegner. Sie kam in eine gefängnisähnliche Psychiatrie in Kazan zur Zwangsbehandlung, in der sie bis 22. Februar 1972 festgehalten wurde.

Von 1972 -1975 war Natalja Gorbanevskaja weiter für die „Chronik“ tätig, bis sie Ende 1975 nach Frankreich ausreiste. Dort arbeitete sie u. a. in den Redaktionen der russischen Zeitschrift „Kontinent“ sowie der Wochenzeitung „Russkaja mysl“ (der Russische Gedanke); seit 1999 war sie Mitglied in der Redaktion der russischsprachigen polnischen Zeitschrift "Novaja Polscha" (Neues Polen).

In den letzten Jahren nahm Natalja Gorbanevskaja an zahlreichen Veranstaltungen in Russland teil, auch bei Memorial. Darüber hinaus wirkte sie bei verschiedenen Filmprojekten zum Thema der Dissidentenbewegung mit.


Quellen und weitere Informationen: