Mittwoch, 28. Mai 2014

Donbass-Mission von Vertretern des Menschenrechtszentrums MEMORIAL

MEMORIAL legt detaillierten Bericht vor


Am 21. Mai fand in Moskau eine Pressekonferenz des Menschenrechtszentrums MEMORIAL statt. Oleg Orlov und Jan Raczyński berichteten von ihrer Mission in die Ukraine vom 6. bis 16. Mai, die sie nach Kiev und in verschiedene Städte der Ostukraine - Donezk, Druzhkovka, Konstantinovka, Kramatorsk und Mariupol - geführt hatte. Die Mission fand mit Unterstützung und im Rahmen der Arbeit der „Grazhdanskaja solidarnost“ – „Bürgersolidarität“ - statt.

Befragt wurden u. a. Vertreter der Zivilgesellschaft und von Regierungsinstitutionen, Personen, die Opfer von Gewaltakten geworden waren, und Augenzeugen bestimmter Vorfälle (etwa in Mariupol).

Orlov und Raczyński haben einen 31seitigen Bericht zusammengestellt. Auf der Pressekonferenz gingen beide vor allem auf drei Themen ein – die Situation im Hinblick auf das Referendum, seine Vorbereitung und Durchführung, die generelle Situation im Donbass und speziell auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Mariupol am 9. Mai.

Das "Referendum"

Das Urteil über das Referendum im Donbass fiel eindeutig aus – es könne nicht als legitim bewertet werden. Dafür fehlten elementare Voraussetzungen – ganz abgesehen davon, dass die ukrainische Gesetzgebung keine regionalen Referenden vorsieht.

Es lagen – von einem einzigen Fall (einem Wahlbezirk in Donezk) abgesehen – keine Wählerlisten vor. Es war ohne Probleme möglich, mehrfach (eben in mehreren Wahllokalen) abzustimmen. Da es insgesamt zu wenige Wahllokale gab (etwa in Mariupol nur vier), entstand zu Anfang der Eindruck einer hohen Beteiligung, weil es vor einigen Lokalen in den ersten Stunden größeren Andrang gab. Wahlbeobachter hätten sich theoretisch bei den Zentralen oder Territorialen Wahlkommissionen registrieren müssen, deren Standort am 10. Mai – einen Tag vor dem Referendum – noch unbekannt war. Schließlich gab es denn auch keine Wahlbeobachter.

Bereits zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale wurde das Ergebnis bekanntgegeben. Zu diesem hätte die Auszählung natürlich noch nicht abgeschlossen sein können, wenn die „Wahlbeteiligung“ so hoch gewesen wäre wie offiziell angegeben.

Eine Kampagne vor der Abstimmung war auf Grund der vom Terror bestimmten Atmosphäre nicht möglich. Kritische Journalisten wurden entführt und gefoltert, Parteien, die die „Volksrepublik Donezk“ nicht unterstützten, konnten nicht arbeiten, ihre Büros waren nach Überfällen un Entführungen von Mitarbeitern geschlossen.

Menschenrechtsverletzungen - Entführungen, Folterungen, Morde

Der vorgelegte Bericht geht auf Entführungen und Misshandlungen politisch aktiver Personen ein. Eine vollständige Liste liegt nicht vor. Als Quellen dienen Zeugenaussagen der Angehörigen oder der Verschleppten selbst, sofern sie später freigelassen wurden. Viele der Entführten werden in dem besetzten Gebäude der Gebietsverwaltung von Donezk gefangen gehalten, dort verhört und gefoltert. Einige wurden ermordet (z. B. Valerij Salo von der Organisation "Prosvita") oder nicht wieder aufgefunden (so Alexander Demko, der zur Behandlung seiner Verletzungen durch Folterungen nach Dnepropetrovsk gebracht werden sollte, Galina Ivanova - die Ärztin, die ihn begleitete - der Fahrer. Nur das leere Fahrzeug fand sich - mit Einschusslöchern - auf der Umgehungsstraße zwischen Makeevka und Donezk).

Hier zwei weitere Beispiele aus dem Bericht:

Am 4. Mai, dem Tag vor der Ankunft der MEMORIAL-Mitarbeiter im Donezker Gebiet, wurden Mitglieder der Unabhängigen Bergarbeiter-Gewerkschaft und einige Abgeordnete der Stadt Novogrodovka (insgesamt sechs Personen) entführt. 10 Schwerbewaffnete (von denen drei nach Zeugenaussagen aus dem Nordkaukasus stammen) drangen in das Haus von Konstantin Musejko ein. Sie eröffneten sofort das Feuer, erschossen die Hunde, verletzten Musejko mit einem Schuss in den Oberschenkel, verwüsteten die Einrichtung und plünderten. Danach wurden die Anwesenden zunächst in das besetzte Gebäude der Gebietsverwaltung Donezk gebracht und unter fortgesetzten Misshandlungen über Kontakte u. a. zum „Rechten Sektor“ und nach angeblichen Geldquellen befragt. Später transportierte man sie in das ebenfalls besetzte Fernsehzentrum, wo sie, mit Handschellen an Stühle gefesselt und unter weiteren Schlägen, die Nacht verbrachten.

Am 5. Mai wurden sie freigelassen, ob in Folge eines Austauschs oder der Publikationen über diesen Vorfall, ist nicht bekannt. Fünf der Opfer haben sich danach nach Kiev begeben (wo sie von MEMORIAL auch befragt wurden). Alle haben erhebliche Verletzungen davongetragen (Rippen- und Nasenbeinbrüche, Hämatome).

Nicht besser erging es vier Studenten der Donezker Universität, die im Anschluss an eine Demonstration für die Einheit der Ukraine am 28. April ebenfalls in die Donezker Gebietsverwaltung verschleppt wurden (ein weiterer Student konnte entkommen und Alarm schlagen). Unter Folterungen und Drohungen, sie umgehend zu erschießen, wollte man ihr Geständnis erpressen, dem „Rechten Sektor“ anzugehören. Einige von ihnen legten unter Zwang ein „Teilgeständnis“ ab, das auf Video aufgezeichnet wurde. Da ihre Entführung indes bekannt geworden war und Angehörige sowie Gesinnungsgenossen sich an alle möglichen Instanzen, darunter die UNO-Beobachtungsmission in Donezk wandten, wurden die Studenten am 29. April freigelassen (ebenfalls erheblich verletzt). Da sie danach weiterhin unter Druck gesetzt und massiv bedroht wurden, haben auch sie Donezk inzwischen verlassen.

Einer der Führer der „Volksrepublik Donezk“ nannte ganz unverhüllt drei Gründe für die Entführungen: Erstens wolle man Informationen bekommen, zweitens Gefangene haben, um sie austauschen zu können, und drittens, wolle man die Gefangenen „umerziehen“. Darüber hinaus wird oft versucht, von Angehörigen Lösegeld zu erpressen. Er gab zu, dass in den letzten Wochen mehrere Dutzend Gefangene in der Donezker Gebietsverwaltung gefangen gewesen wären und dass man diese „physischer und psychischer Gewalt“ aussetze: „Alle tun das“.

Der Hauptzweck besteht indes darin, die Bevölkerung zu terrorisieren und die Gegner der „Volksrepublik“ in Angst und Schrecken zu versetzen, und dieser Zweck wurde dem Bericht zufolge erreicht. Die Zivilgesellschaft ist weitgehend paralysiert. Die meisten Anhänger einer einigen Ukraine haben das Gebiet entweder verlassen oder sie haben jegliche offene, legale Tätigkeit eingestellt. Etliche sehen keine andere Möglichkeit mehr, als sich einer paramilitärischen Organisation anzuschließen.

Behauptungen über Entführungen von Anhängern der „Volksrepublik“ durch Anhänger der Kiewer Regierungen ließen sich nicht verifizieren, weil die in Frage kommenden Ansprechpartner (darunter eine Person, die selbst Opfer einer Entführung gewesen sei) zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung standen.

Auch die von der ukrainischen Armee durchgeführte Antiterror-Operation (ATO) führt nach Angaben von MEMORIAL zu ungerechtfertigten Opfern unter der Zivilbevölkerung. Allerdings weisen die Informationen von MEMORIAL darauf hin, dass die bewaffneten Einheiten, die im Namen des ukrainischen Staates eingesetzt werden, „von oben“ die eindeutige Anweisung haben, bei ihren Operationen Opfer unter der Zivilbevölkerung nach Möglichkeit zu vermeiden.

Der Bericht verweist auf das Problem, das mit dem Einsatz der ukrainischen Armee im Inland verbunden ist, ohne dass der Ausnahme- oder Kriegszustand deklariert wurde. Das führt zu massiver Rechtsunsicherheit und Unklarheit darüber, welche Vollmachten die Armee hat und zu welchen Maßnahmen sie berechtigt ist. Zudem ist die Armee teilweise unzureichend vorbereitet. Die Miliz im Donezker Gebiet ist völlig desorganisiert und bleibt gerade in kritischen Situationen untätig. In Anbetracht dieser Situation wurden paramilitärische Verbände wie das Dnepr- und Azov-Bataillon gebildet. Diese sind jedoch auf Auseinandersetzungen mit äußerst aggressiven, aber unbewaffneten Zivilpersonen in keiner Hinsicht vorbereitet. Sie verfügen auch nicht über die nötige Ausrüstung, was in Mariupol zu tragischen Folgen geführt hat.

Insbesondere die Aktionen des Bataillons "Donbass" sind dem Bericht zufolge alarmierend. Das Bataillon führt militärische Operationen sowie Festnahmen durch. Bedenklich sei, dass diese Aktionen in Absprache mit Vertretern der ukrainischen Regierung erfolgen. Solche eigenständigen, illegalen Verbände können sich für die Ukraine als ebenso gefährlich wie die Operationen der Separatisten erweisen.

Der Bericht kritisiert die Verwicklung einzelner Regierungsvertreter in Maßnahmen der Armee. Als frappierendes Beispiel wird der Abgeordnete Oleg Ljaschko angeführt, der an Festnahmen und Verhören mit Misshandlungen beteiligt war.

Die Ereignisse in Mariupol

Die gewaltsamen Zusammenstöße in Mariupol am 9. Mai wurden eigens untersucht. Die MEMORIAL-Vertreter trafen am Abend des Geschehens dort ein.

Ihrem Bericht zufolge bleibt zunächst festzuhalten, dass es bereits am 16. April zu einer Konfrontation gekommen war, als eine Menschenmenge in Tarnanzügen und Masken gewaltsam (u. a. unter Anwendung von Molotow-Cocktails) in eine Militäreinheit im Stadtzentrum eindrang. Die Armee reagierte zunächst mit Warnschüssen, dann mit Schüssen in die Beine der Angreifer. Zwei oder drei Personen (die Angaben differieren hier) wurden getötet, 16 verletzt. In diesem Zusammenhang sorgten Gerüchte, die v. a. die Führung der „Volksrepublik Donezk“in die Welt setzte, dafür, dass sich die Stimmung aufheizte (so hieß es etwa, kurz vor der Schießerei seien Soldaten „in Ausrüstung einer ausländischen Armee“ in zwei Hubschraubern gelandet).

Ähnliche Legenden sind auch in Folge der tragischen Vorfälle vom 9. Mai in Mariupol entstanden. Die verbreitete Darstellung, derzufolge die Miliz auf Seiten des „Volkes“ (sprich der „Volksrepublik Donezk“) standen und die Armee sowohl auf die Milizionäre als auch auf Teilnehmer einer Kundgebung (zum 9. Mai) geschossen hätten, entspricht demnach nicht den Tatsachen.

Der Bericht von MEMORIAL stützt sich auf Besuche in allen Krankenhäusern, in die Verletzte gebracht wurden, auf Zeugenaussagen und Materialien im Internet. Ausgelöst wurden die Ereignisse durch eine Gruppe Bewaffneter ohne Erkennungszeichen, die gewaltsam (möglicherweise mit Unterstützung einiger Milizionäre) in ein Verwaltungsgebäude eindrang, in dem eine militärische Besprechung stattfand. Die zur Unterstützung angeforderten Armeeeinheiten trafen in der Stadt auf Barrikaden und den erbitterten Widerstand aufgebrachter Demonstranten.

Zunächst hätten die Soldaten ausgesprochen besonnen reagiert und nicht das Feuer eröffnet. Dennoch kam es im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen auch zu Opfern unter der Zivilbevölkerung. Eine wesentliche Ursache hierfür wird im Bericht der unzureichenden Ausrüstung der Militäreinheiten zugeschrieben, die nicht angemessen auf aggressive, aber unbewaffnete Massen reagieren können und daher in Ermangelung von Tränengas oder Blendgranaten ungerechtfertigt zu Schusswaffen greifen. Der Bericht zählt Einzelfälle auf, die einer eingehenden Untersuchung bedürfen.


Als Resümee hält der Bericht vier Punkte fest:

1. Die Behörden und Aktivisten der so genannten „Volksrepublik Donezk“ verletzen massiv und systematisch die Menschenrechte.
2. Das am 11. Mai 2014 durchgeführte Referendum kann nicht als legitim anerkannt werden. Die Durchführung des Referendums schließt eine zuverlässige Bestimmung seiner Ergebnisse aus.
3. Die ukrainischen Behörden müssen schnellstmöglich in ihren militärischen Strukturen für Ordnung sorgen, um sicherzustellen, dass nicht unzureichend ausgebildete und schlecht ausgerüstete Soldaten gegen feindlich eingestellte und aggressive Zivilpersonen eingesetzt werden.
4. Die ukrainischen Behörden müssen die Aktionen aller ungesetzlichen bewaffneten Einheiten unterbinden, darunter auch die, die sich für einen einheitlichen ukrainischen Staat einsetzen. Der Einsatz solcher Verbände kann für die Ukraine ebenso gefährlich werden wie die Separatisten selbst.

Den vollständigen Bericht in russischer Sprache finden Sie hier.


Sonntag, 25. Mai 2014

Zum Tod von Andrej Mironov



Nachruf von Svetlana Gannuschkina

Heute früh erfuhren wir, dass der italienische Journalist Andrea Rocchelli und sein Übersetzer Andrej Mironov in Andrejevka in der Nähe von Slovjansk getötet wurden. Was gestern Abend noch eine Vermutung war, ist heute schmerzliche Gewissheit.

Andrej Mironov, unser Kollege und Freund, beherrschte mehrere europäische Sprachen, darunter auch Italienisch. Als Übersetzer begleitete er häufig Journalisten, Politiker und Mitglieder internationaler Menschenrechtsorganisationen.

Sein Sprachtalent war einzigartig, und er liebte das Italienische sehr. Als ich zu einem Vortrag nach Turin eingeladen wurde, gab er mir zwei Wochen vor der Reise den Ratschlag: „Sveta, versuchen Sie, Italienisch zu sprechen, das ist eine sehr schöne und einfache Sprache, das werden Sie können“.

Aber der Menschenrechtler und ehemalige politische Gefangene Andrej Mironov war nie und nirgends nur als Übersetzer tätig. 1985 wurde er verhaftet, weil er Samizdat-Schriften verbreitet hatte, und 1986 vom Obersten Gericht Udmurtiens wegen „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ (Art. 70 des StGB der RSFSR) zu vier Jahren Lagerhaft und drei Jahren Verbannung verurteilt. Im Februar 1987 kam er zu Beginn der von Gorbatschow eingeleiteten Perestrojka zusammen mit anderen politischen Gefangenen frei.

Für Andrej Mironov war es ganz selbstverständlich, dass er bereits 1988 bei der Gründung zu MEMORIAL stieß und sich später an der Einrichtung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beteiligte. Andrej war nicht in dem Sinne Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums, dass er konkret an einem Programm mitgewirkt hätte. Er war als Menschenrechtsverteidiger eher ein Einzelkämpfer, der in jeder seiner Lebensperioden ein eigenes Programm verfolgte.

Andrej hat viele Konfliktherde aufgesucht, allein oder zusammen mit Kollegen. Seit 1994 hielt er sich etliche Male längere Zeit während der Kriegsereignisse in Tschetschenien auf. Im Privatleben war er in sich gekehrt und verletzlich. Er setzte sich indes mit aller Kraft für den Schutz von Personen ein, die dessen bedurften. Er fand Mittel und Wege, um Familien von Opfern zu unterstützen, er brachte sie zu diesem Zweck auch zu uns. Dank seiner Sprach- und Landeskenntnisse fand er auch in internationalen Organisationen Gehör.

2008 wurde Andrej Mironov gemeinsam mit Alexej Makarov der Pierre-Simon-Preis für Ethik und Gesellschaft verliehen. Mit diesem Preis werden unter der Schirmherrschaft des französischen Gesundheitsministeriums jährlich Personen oder Arbeiten ausgezeichnet, die sich gesellschaftlichen und ethischen Fragen widmen.

In diesem Jahr vollendete Andrej sein 60. Lebensjahr.

Mit ihm wurde ein Mensch mit einer kristallklaren Seele getötet, von absoluter Uneigennützigkeit, mit einem rückhaltlosen Gerechtigkeitsempfinden, von erstaunlicher Güte und erfüllt vom Glauben an das Gute.




Der Schmerz verbindet sich mit Gefühlen des Zorns und der Schuld. Wie konnten wir diesen brudermörderischen Krieg zulassen?

25. Mai 2014

Italienischer Journalist und sein Übersetzer bei Slovjansk getötet

Am 24. Mai abends wurden in der Nähe von Slovjansk der italienische Journalist Andrea Rocchelli und sein russischer Übersetzer Andrej Mironov durch Granatwerferbeschuss getötet. Der französische Reporter William Roguelon wurde schwer verletzt.
Einen Nachruf auf Andrej Mironov, der MEMORIAL angehörte, finden Sie hier.

„Reporter ohne Grenzen“ (ROG) hat immer wieder auf die bedrohliche Situation von Journalisten in der Ostukraine hingewiesen und über Entführungen und Folterungen berichtet, zuletzt in einer Presseerklärung vom 22. Mai.

Die in dem ROG-Bericht erwähnten russischen Journalisten Oleg Sidjakin und Marat Sajtschenko von Lifenews (auf die auch das Menschenrechtszentrum MEMORIAL in einer Presseerklärung hingewiesen hatte), wurden inzwischen wieder freigelassen.

Politische Gefangene aus der Krim nach Moskau verbracht



Presseerklärung des Komitees zur Unterstützung politischer Gefangener auf der Krim vom 23. Mai

Heute, am 23. Mai, haben FSB-Mitarbeiter die ukrainischen Bürger Alexander Koltschenko und Oleg Sentsov in ein Moskauer Untersuchungsgefängnis verbracht. Dies teilt das Komitee zur Unterstützung politischer Gefangener auf der Krim mit.

Die Ermittler teilten den Angehörigen Sentsovs und Koltschenkos mit, dass in Moskau Sachverständigen-Gutachten erstellt werden sollten. Wie lange sie dort bleiben müssten, ist noch unklar, ihr Aufenthalt dort könnte sich bis zu einem Jahr hinziehen.

Bekanntlich wurden der bekannte Regisseur Oleg Sentsov und der Aktivist Alexander Koltschenko, die sich an Aktionen gegen die Annexion der Krim beteiligt hatten, im Mai 2014 inhaftiert, Sentsov am 10. Mai während einer Haussuchung, die russische Geheimdienstmitarbeiter in seiner Wohnung durchführten. Dem Vernehmen nach werden ihm die Planung eines Terroranschlags und die Aufbewahrung von Waffen angelastet. Koltschenko wurde am 16. Mai im Zentrum von Simferopol verhaftet, als er mit Freunden in der Stadt unterwegs war. Wie es heißt, wird ihm die Beteiligung an einem Terrorakt unterstellt.

Alexander Koltschenko
Oleg Sentsov


















Wie das Komitee zur Unterstützung politischer Gefangener auf der Krim erfuhr, haben beide Gefangenen keinen Kontakt zu Anwälten. Somit haben sie de facto keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Dies steht nicht nur zur russischen Gesetzgebung im Widerspruch, sondern auch zu internationalen Verträgen, die die Russische Föderation ratifiziert hat.

Oleg Sentsov ist ein ukrainischer Filmregisseur. Sein erster Film „Gamer“ ist auf ukrainischen und internationalen Festivals vielfach ausgezeichnet worden. Er hatte sich für die Maidan-Bewegung eingesetzt und sich seit Ende Februar an Protesten gegen die Annexion der Krim beteiligt.

Alexander Koltschenko war in der linken und antifaschistischen Bewegung engagiert, er hatte Aktionen und Kampagnen zum Schutz von Studenten- und Arbeiterrechten sowie ökologische Aktionen organisiert. Auch er hatte seit Ende Februar an der Protestbewegung gegen die Annexion der Krim teilgenommen.

Freitag, 23. Mai 2014

Urteil im Verfahren des Menschenrechtszentrums MEMORIAL

Moskauer Bezirksgericht weist Klage ab


Am heutigen 23. Mai wurde im Moskauer Samoskvorezkij-Bezirksgericht die Klage des Menschenrechtszentrums Memorial gegen die Aufforderung vom 29. April 2013, sich als „ausländischer Agent“ registrieren zu lassen, verhandelt.

Dieser Gerichtstermin war zuvor etliche Male verschoben worden, weil die anstehenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenechte (EGMR) und des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation abgewartet werden sollten. Russische Nichtregierungsorganisationen hatten im letzten Jahr bei beiden Gerichten gegen das „Agentengesetz“ geklagt, das NGOs, die ausländische Fördergelder erhalten und „politisch tätig“ sind, zu einer solchen Registrierung verpflichtet. Das russische Verfassungsgericht hat inzwischen geurteilt und das Gesetz für verfassungskonform erklärt. Das Urteil des EMGR steht noch aus.

Was eine „politische Tätigkeit“ im Sinne dieses Gesetzes bedeutet, ist zwar nicht genau definiert worden, als ein Merkmal wurde indes genannt, es handle sich um eine Tätigkeit, die eine „Änderung der staatlichen Politik“ zum Ziel habe.
Als Indizien für eine „politische Tätigkeit“ hatte die Staatsanwaltschaft Publikationen auf der Website ovdinfo.org (ein Webportal, das über Menschenrechtsverletzungen berichtet) angeführt sowie die Mitwirkung von Sergej Davidis, der dem Rat des Menschenrechtszentrums angehört, in der (oppositionellen) Bewegung „Solidarität“. Davidis betonte, dass beides nichts miteinander zu tun habe und er als Privatperson bei „Solidarität“ mitarbeite. Von Seiten der OVD-Gruppe erklärte Grigorij Ochotin, dass das Menschenrechtszentrum an der Redaktion der Website nicht beteiligt sei.

Ungeachtet aller Einwände bewertete das Samoskvorezkij-Gericht die Tätigkeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als politisch und lehnte die Klage der Organisation gegen die Staatsanwaltschaft ab. Damit verpflichtete es den Verband, sich als „ausländischer Agent“ registrieren zu lassen.

Alexander Tscherkassov, Leiter des Menschenrechtszentrums MEMORIAL, erklärte, dass das Zentrum dieses erstinstanzliche Urteil in der nächsthöheren Instanz anfechten wird: „Erstens werden wir uns nicht als „ausländischer Agent“ registrieren lassen. Zweitens werden wir weiter arbeiten. Drittens werden wir mit allen rechtlichen Mitteln nicht nur die Rechte anderer, sondern auch unsere eigenen verteidigen. Wir werden den Beschluss des Samoskovrezkij-Gerichts bei der höheren Instanz anfechten. Unsere Klage liegt beim Europäischen Gericht für Menschenrechte. Das Leben geht weiter.“